Für eine gemeinsame europäische Verschuldung

Wer begleicht die Schulden? Die Verschuldung der Staaten ist in nur wenigen Monaten so sehr aus dem Ruder gelaufen, dass selbst in diesen dunklen Zeiten dieser Appell an einen ganz nüchternen Realismus gar nicht so unangebracht sein könnte, wie es scheint. Von der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen für die Bevölkerung bis hin zur Lockerung der Schuldenbegrenzungen: Die Sorge ist die gleiche.

Heute, wo sich die Welt in einer Phase der allmählichen Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen in gesundheitspolitischer Hinsicht befindet, wie kann da die Zukunft der Haushalts- und Geldpolitik in Europa aussehen? Wie kann man bei einer doppelt so hohen Verschuldung von Italien im Vergleich zu Deutschland noch eine Gemeinschaftswährungszone sein? Sollen wir wieder zu dem Modell „von vorher“ zurückkehren und den Massentourismus, die extreme Globalisierung, die unkontrollierte Förderung von Öl und die Investitionen in diesen Rohstoff wiederbeleben? Sollen wir wieder die Maastricht-Kriterien einhalten und von den Italienern als Preis für ihren Kampf gegen die Epidemie fiskalpolitische Austeritätsmaßnahmen verlangen?

In den nächsten zwei Jahren wird die Verschuldung der einzelnen Länder der Eurozone noch weiter auseinanderklaffen – man spricht von Unterschieden von bis zu 100%. Die Länder, die vom Virus am stärksten betroffen waren – Italien, Frankreich oder Spanien – sind diejenigen, die die strengsten Ausgangsbeschränkungen auferlegt hatten und damit auch diejenigen, deren Verschuldung am meisten gewachsen ist. Deutschland war dagegen weniger betroffen und scheint für eine Erholung besser aufgestellt zu sein.

Welche Optionen gibt es also für die Bewältigung der gestiegenen Verschuldung? Unserer Meinung nach gibt es vier.

  1. Abbau der Haushaltsdefizite und Verpflichtung zu Austeritätsmaßnahmen in den ärmsten Ländern. Diese Option ist nicht nur von einem politischen und moralischen Standpunkt aus kompliziert, sie ist auch aus wirtschaftlicher Sicht gefährlich. Das Beispiel Griechenland hat gezeigt, dass Austerität paradoxerweise mehr negative als positive Auswirkungen auf die Staatsausgaben hat.
  2. Schaffung eines nominalen Wachstums und folglich einer Inflation. Dies ist angesichts der Demografie und der Produktivität in Europa leichter gesagt als getan. In einer Zeit, in der die Sparquoten am höchsten sind, scheint ein Anstieg der Inflation kurzfristig wenig wahrscheinlich.
  3. Umstrukturierung zu hoher Schulden. Diese Option könnte zwar die Verschuldungsquoten verringern, sie würde aber bedeuten, dass die Banken und Haushalte, deren Ersparnisse hauptsächlich in Staatsanleihen investiert sind, zur Kasse gebeten werden müssten. Eine solche Umschuldung hätte außerdem dramatische Konsequenzen für die politische Nachhaltigkeit der Eurozone.
  4. Vergemeinschaftung der Schulden Dies ist unserer Meinung nach die langfristig bei Weitem am vielversprechendste Option. Die Emission von EU-Anleihen bzw. Eurobonds würde die Eurozone unumkehrbar machen und neue haushaltspolitische Handlungsspielräume schaffen. Diese Anleihen können auf zwei Ebenen verwaltet werden: eine nationale Ebene, auf der die Regierungen die Ausgaben des Landes verwalten sowie eine europäische Ebene für die neuen Ausgaben im Zusammenhang mit der Pandemie, aber auch für neue strukturelle Gemeinschaftsausgaben, wie zum Beispiel im Rahmen der Klima- oder Migrationspolitik.

Eine der größten Herausforderungen der Lockerung der Beschränkungen wird die Bewältigung der Ungleichheiten sein. Wenn die Regierungen darauf bestehen, die ärmsten und am stärksten betroffenen Länder für die Folgen dieser neuen Verschuldung aufkommen zu lassen, werden Sie einen Zustand verstärken, gegen den wir mit aller Kraft ankämpfen müssen – es sei daran erinnert, dass die 1% Reichsten der Erde mehr als das Doppelte an Reichtum besitzen als 7 Milliarden Menschen. Zudem wird diese Strategie den Vormarsch des Populismus begünstigen.

Ferner wird eine Rückkehr zu Austeritätsmaßnahmen der europäischen Länder, ohne dass Schulden vergemeinschaftet werden, unweigerlich die Eurozone und die europäische Verschuldung gefährden. Dies würde das Risiko beinhalten, zu den Pleitewellen der 1930er Jahre zurückzukehren – den tragischen Konsequenzen des Leitmotivs des Versailler Vertrags, Deutschland zahlen zu lassen, mit später noch viel schwerwiegenderen politischen Konsequenzen.

Heutzutage besteht das Hauptrisiko darin, nichts zu ändern. Ein anderes Modell ist aber möglich.

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